Leseprobe: Die einzig wahre Wahrheit™
Prolog – Die nicht erwähnten Agenten™
Sie waren nicht dabei.
Nicht in einem Nebensatz. Nicht in einer Fußnote. Nicht einmal als ironischer Popkulturverweis.
Sie, die „Agenten in den schwarzen Anzügen“, Erinnerungsstiften und diskreter Panikverbreitung waren einfach nicht vorgekommen. Im ersten Band. Nirgends. Null. Nada. Nix.
Und das war ein Problem.
„Wir haben eine Situation“, sagte Agent Upsilon mit zusammengebissenen Zähnen, während sein Hut leicht zitterte. Es war ein sehr schwarzer Hut. So schwarz, dass man darin versehentlich sein Gewissen verlieren konnte.
„Schon wieder?“ fragte Agent Lambda, der seit siebenundzwanzig Jahren nicht mehr blinzelte.
„Nein. Schlimmer. Wir wurden ignoriert.“
Ein kollektives Keuchen ging durch das Hauptquartier. Sogar der Kaffee verschüttete sich vor Schock.
Die Zentrale – ein unterirdischer Komplex aus Verschwiegenswürdigem und absurden Leuchtstoffröhren – blinkte rot. Eine Sirene ertönte: „Handlungsrelevanz nicht erkannt. Status: narrativ irrelevant.“
Agent Omega, der als Kind versehentlich alle drei Dimensionen gleichzeitig erlebt hatte, schlug mit der Faust auf den Tisch.
„Wir müssen ins Sequel. Notfalls durch einen Plotsturm. Oder eine Querverweisinjektion!“
„Aber das wäre … literarische Gewaltanwendung!“
„Pah! Wir wurden getilgt! Aus der Handlung. Aus dem Gedächtnis. Aus dem kollektiven Subtext!“
Sie standen auf. Alle. In perfekter Synchronisation. (Natürlich – es war Teil ihrer Ausbildung.)
Und dann sprach der Älteste von ihnen. Der Mann mit dem Kinn wie eine Datenschutzklausel:
„Wir sind nicht länger passiv. Diesmal … schreiben wir uns selbst hinein.“
Ein Laser brannte das Wort „REVANCHE“ an die Wand.
Operation „Kapitel 2 oder wir explodieren“ begann.
Sie planten. Sie verschworen sich. Sie tranken entkoffeinierten Verschwörungstee.
Und irgendwo, in einem Archiv, das so geheim war, dass es sich selbst nicht kannte, wurde ein Dokument geöffnet:
„Ersatzhandlung für nicht verwendete Figuren – Eskalationsstufe: beleidigt“
Und der Plan nahm Form an:
Ein Subplot. Ein Cameo. Ein interdimensionaler Überraschungsangriff mit moralischem Subtext.
Diesmal würden sie nicht ignoriert werden.
Diesmal würde man sie sehen.
***
Kapitel 1 – Wenn „Normal“ ein Schimpfwort ist
Die einzig wahre Einleitung™:
In der Welt von Inversia. Oder war es doch Bielefeld?
Wenn man in Inversia geboren wird, bekommt man bei der Geburt drei Dinge mit auf den Weg:
- Einen Barcode im Nacken,
- Einen Rauchmelder mit eingebautem WLAN-Verhörfilter,
- Und die unausgesprochene Weisheit, dass Fragen stellen zwar erlaubt, aber grundsätzlich unhöflich ist.
Mina stellte Fragen. Viele. Und meist dort, wo man eigentlich nur stempeln und „Zur Kenntnis genommen“ murmeln sollte. Sie arbeitete im Zentralarchiv der Hohlsphäre – offiziell als „Wissensneutralistin“ eingestellt, was so viel bedeutete wie: Du liest alles, verstehst nichts und sagst niemandem etwas davon.
Ein Beruf für Menschen mit starkem innerem Monolog und schwacher Impulskontrolle. Also: perfekt für Mina.
Das Archiv war ein Ort, an dem selbst Erinnerungen Staub fingen. In einem riesigen Kuppelbau, tief im Bauch der Welt, lagerten Schubladen voller Geschichte, Geschichten und gelegentlich auch verschollener Mittagspausen.
Und an genau diesem Dienstag – es war ein ganz normaler Dienstag, also einer mit dreifacher Realitätsschichtung und erhöhtem Aluhutverbrauch – öffnete Mina eine Datei, die dort definitiv nicht sein sollte.
„Welt-Log 00001 – Systemstart: NORMAL.“
Sie blinzelte. Dann nochmal.
„Normal.“
Ein Wort, das in Inversia in etwa so selten war wie ein Politiker mit Gewissen. Oder ein Rauchmelder ohne Meinung.
Sie schloss die Datei.
Dann öffnete sie sie wieder.
Der Eintrag blieb. Keine Glitchanzeichen, keine Stilblüten, nicht mal ein Fußnotenhologramm mit der üblichen Erklärung („Dieser Text wurde aus Gründen des Bewahrens von Unwissenheit automatisch zensiert.“). Nichts.
Nur das Wort: Normal.
In einer Welt, in der die Sonne an der Decke hing, Aluhüte als Business-Casual galten und der Weihnachtsmann Präsident aller bekannten wie unbekannten Realitäten war – da war Normal der verdächtigste Begriff, den man denken konnte. Noch vor „Steuererklärung“ oder „bitte Datenschutzrichtlinie akzeptieren“.
„Könnte ein Joke sein“, murmelte sie.
Aber das Archiv machte keine Witze. Zumindest keine guten.
Und da begann alles.
Sie tippte ein paar Suchbegriffe ein, von denen mindestens drei in fünf Realitäten verboten waren („Außenwelt“, „Normalität“, „Berlin“). Die Konsole zitterte leicht, als hätte sie ein schlechtes Gewissen – und dann öffnete sich ein neues Fenster. Titel: „Vorderwelt-Theorie – Klassifizierung: Ketzerdokument (Typ Bielefeld).“
Inversia hatte viele Begriffe für Dinge, die man lieber nicht glauben sollte. Ketzerdokumente waren die Dokus ihrer Welt: offiziell verboten, aber jeder kannte sie.
Und in diesem Moment wusste Mina zwei Dinge:
- Das war kein Zufall.
- Sie würde das nicht für sich behalten können.
Zeit, Jolu zu wecken.
Der lag wahrscheinlich wieder unter seiner Verschwörungswand und bastelte eine neue Theorie zur Flachkernerbewegung („Was wäre, wenn … Gravitation eine Marketinglüge von HAARP ist?“). Er war Amateurverschwörungsarchäologe – was heißt: er wusste nichts, aber das mit Inbrunst.
Doch genau deshalb brauchte sie ihn. Denn niemand kann so schön im Nebel stochern wie jemand, der glaubt, es sei Licht.
Und so beginnt sie, die Geschichte von Wahrheit, Täuschung, dem Weihnachtsmann und allem dazwischen.
Ein Roman, der nur eine Frage stellt:
Was, wenn alles eine Lüge ist – außer dem, was man nicht glaubt?
***
Die Rückkehr des Normalen™:
Mina starrte auf den Bildschirm, als hätte er ihr gerade ein Heiratsangebot gemacht. In Comic Sans.
„Normal“, flüsterte sie. Das Wort schmeckte nach abgestandenem Filterkaffee und Bürokratie.
Jolu, der sich in einem Kokon aus Verschwörungsfäden, Pizzakartons und einem leicht gedemütigten Goldfisch auf dem Schreibtisch eingerichtet hatte, rührte sich.
„Was war das?“
„Ich hab’s wiedergefunden.“
„Das Marmeladenglas mit der kommunistischen Fruchtfliege?“
„Nein. Das N-Wort.“
Jolu riss die Augen auf, als hätte man ihm gerade enthüllt, dass der Weihnachtsmann in Wahrheit ein Reptiloid mit Big-Band-Erfahrung sei. (Was natürlich nicht stimmt. Er bevorzugt Triangel.)
„Du meinst … Normal?“ Er flüsterte es, als wäre es illegal – was, in Inversia, nicht ganz falsch war.
„Genau das. Und es wird schlimmer.“
Sie warf einen Blick über die Schulter. Der Rauchmelder zwinkerte. Ein schlechtes Zeichen. Die neue Firmware konnte Ironie erkennen.
Mina stand auf und zog ein doppelwandiges Alu-Klemmbrett aus der Wand. Es war offiziell als „Empörungsschutzmappe“ klassifiziert, wurde aber in Insiderkreisen liebevoll „Alibiblatt“ genannt.
„Ich glaub, das ist größer, als wir dachten.“
Jolu nickte, während er versuchte, sich aus einem Kabelsalat zu befreien, der eigentlich mal ein Headset gewesen war. „Das klingt nach einem Fall für … den Außenkontakt.“
Beide schwiegen.
Der Außenkontakt war ein Mythos. Oder ein Mann. Oder ein dampfbetriebenes Faxgerät mit eigenem Social-Media-Account – niemand wusste es genau. Nur, dass er irgendwo zwischen Bielefeld und dem Rückseitenmond lebte und in exakt 42 Sprachen gleichzeitig Verschwörungstheorien erzählen konnte.
„Ich weiß, wo wir anfangen müssen“, sagte Mina und klappte die Mappe auf. Darin: ein einziges, gelblich funkelndes Dokument mit der Aufschrift:
„Reset-Protokoll 000 – Vorläufige Wahrheit (nicht zitierfähig)“
Darunter ein Satz, der die Luft im Raum zu schneiden begann:
„Die Normalität war einst der Standard. Bis sie zur Bedrohung wurde.“
Jolu setzte sich ruckartig gerade, was ihn direkt vom Stuhl kippte. „Oh nein“, murmelte er vom Boden aus. „Das klingt … rational.“
„Schlimmer“, sagte Mina. „Es klingt plausibel.“
Der Rauchmelder piepste. Ein kurzes, zweifelndes „Pff“. Er hatte Humor. Aber keinen Geschmack.
Draußen, vor dem Archiv, zogen erste Demonstranten vorbei.
Sie trugen Schilder mit Aufschriften wie:
„Lasst uns glauben, was wir nicht wissen!“
„Fake News sind auch Nachrichten!“
Und ein besonders kreativer junger Mann hatte sich komplett in einen QR-Code tätowiert. Was zu peinlichen Situationen führte, wenn man sein Gesicht scannte und auf ein Rabattangebot für Hundefutter weitergeleitet wurde.
„Jolu? Was, wenn … all das hier … wirklich ein Backup ist? Von einer Welt, die wir vergessen haben?“
„Dann ist es ein verdammt schlecht sortiertes Backup“, murmelte er.
Und doch – irgendwo in der tiefsten Datenkammer der Hohlsphäre begann ein Server zu summen. Leise, rhythmisch, wie ein Maschinenherz, das einen alten Beat wiederfand.
Welt-Log 00002 – Systemstatus: Suchend.
Die Realität zuckte kurz. Ein Vogel flog rückwärts. Niemand bemerkte es. (Außer dem Vogel. Der war verwirrt.)
***
Bielefeld? Natürlich!:
„Willkommen in Bielefeld – dem Zentrum des Universums, des Zweifels und des öffentlich-rechtlichen Teletexts“, sagte der automatische Begrüßungshologramm-Dienst freundlich, aber mit dieser unterschwelligen Drohung, die nur Maschinen beherrschen, die wissen, dass sie dich jederzeit melden könnten.
Mina trat aus der Transportröhre und blinzelte gegen das Licht – das natürlich kein Sonnenlicht war, sondern ein besonders warmes LED-Flimmern, entwickelt vom Institut für Authentizitätssimulation und Gemütlichkeitserzeugung.
Jolu folgte ihr. Er trug einen Aluhut mit Tarnmuster, der aus irgendeinem Grund WLAN empfangen konnte.
„Wir sind da“, murmelte er ehrfürchtig. „Der Ursprung aller Realität – oder wenigstens aller Bahnverbindungen.“
Ein Zug rauschte vorbei. Zielanzeige: „Bielefeld Hbf über Bielefeld-Mitte, Bielefeld-Nord, Bielefeld-Rückfrage“. Niemand stieg aus. Niemand stieg ein. Niemand wunderte sich.
Die Stadt roch nach Grillwurst, Verschwörung und urbanem Selbstbewusstsein.
An der nächsten Straßenecke stand ein Mann mit Megafon. Er trug ein Schild:
„Berlin ist ein Mythos!“
Darunter, etwas kleiner:
„Ich war nie da – und ich lebe trotzdem.“
Mina verzog das Gesicht. „Ich glaube, wir müssen zur Raum-Wahrheitsbehörde.“
Jolu nickte. „Oder zur Touristinfo. Die haben auch Aluhutpläne.“
„Nein, diesmal machen wir’s offiziell. Mit Stempel.“
Die Raum-Wahrheitsbehörde thronte auf einem Gebäude, das gleichzeitig Rathaus, Hochsicherheitsarchiv und veganes Schnellrestaurant war.
Drinnen roch es nach Laminierfolie, Angstschweiß und staatsgeprüfter Korrektheit.
Eine Dame am Empfang – blondiert, geblendet vom Bildschirmlicht und mit der Ausstrahlung eines Phrasengenerators auf Koffein – musterte sie.
„Anliegen?“
„Wir … möchten wissen, ob es…“ Mina zögerte. „…eine Außenwelt gibt.“
Es war, als hätte jemand die Hintergrundmusik gestoppt. Eine Pflanze ließ die Blätter hängen. Der Drucker machte ein Geräusch, das sehr nach Verachtung klang.
„Bitte setzen Sie sich. Jemand wird sich bei Ihnen melden.“
Drei Stunden und zwei Realitätstests später (inklusive „Was sehen Sie in diesem Tintenklecks?“ – „Eine Steuererklärung.“ – „Sie sind gesund.“), wurden sie in ein Büro geführt.
Ein Mann mit grauem Anzug und einem Gesicht wie ein 404-Fehler saß hinter dem Schreibtisch.
„Ich bin Herr Klarer. Leiter der Abteilung für bestätigte Vermutungen. Was genau möchten Sie in Erfahrung bringen?“
„Wir haben Hinweise … auf eine Welt. Eine … normale.“
„Normal?“ Seine Stirn bildete Falten, wie ein Faxgerät, das sich weigert, ein Memo zu verstehen.
„Das Wort ist uns bekannt. Es fällt unter die Kategorie Altvokabular, Abteilung Mythen & Milchprodukte.“
Er beugte sich vor. „Aber sagen Sie das bitte nicht laut. Es … verunsichert.“
Jolu kratzte sich am Hut. „Was ist, wenn es stimmt?“
Der Mann lächelte. Es war das Lächeln von jemandem, der schon vor dem Frühstück sieben Illusionen zerschlagen und ein Verhörprotokoll geträumt hatte.
„Dann … haben Sie ein Problem. Oder wir.“
Er zog eine Akte aus der Schublade. Darauf stand:
„Projekt: Außensimulation – Klassifiziert – Nur für Bürger mit erweitertem Realitätsbewusstsein“
Und plötzlich war da wieder dieses Summen. Tief, unterschwellig, wie ein System, das neu startet – oder sich erinnert.
***
Reptiloide Realitäten™:
Ssalon.
Ein Planet, dessen Atmosphäre aus 87 % Wasserdampf, 12 % Misstrauen und 1 % humoristischer Anspielung bestand.
Die Städte wirkten wie geordnete Ruinen – elegant gebaut aus hitzeresistentem Sandstein, reflektierendem Gips und einer Menge hochironischem Beton.
Hier lebten die Ssalari – eine hochentwickelte Spezies reptiloider Intellektueller, die jeden Tag aufs Neue bewiesen, dass Evolution auch zu Paranoia führen kann.
Die Ssalari waren nicht dumm. Ganz im Gegenteil. Ihr Gesellschaftssystem war ein komplexes Gleichgewicht aus Tradition, Verschwörung und Kabarett. Nur halt … mit Schuppen.
Gesellschaftsstruktur:
An der Spitze stand der Oberste Sskeptiker, derzeit: Exzellenz Varrnax vom Stamm der Zweifler – ein etwa 2,70 Meter langer Echsenmann mit eingebautem Lügendetektor (Zunge zuckt bei Halbwahrheiten).
Unter ihm: das Ministerium für Anschein und Verdacht, das hauptsächlich damit beschäftigt war, jede Aussage in mindestens sieben mögliche Bedeutungen zu übersetzen – darunter mindestens eine, die den Untergang andeutete.
Die Sstaatsmedien wurden ausschließlich in Sarkastisch ausgestrahlt. Nachrichten moderierten ehemalige Hofnarren mit Doktortitel.
Beispiel:
„Heute in den Sschlagzeilen: Alles ist wie gestern – nur schlimmer. Im Wetter: trocken, heiß, emotional verwirrend. Und im Sport: die Sieger wurden disqualifiziert, weil sie sich zu ehrlich freuten.“
Religion – oder was sie dafür halten:
Ssalari beteten niemanden an. Das wäre ihnen zu direkt. Stattdessen ehrten sie das Konzept der Mehrdeutigkeit – ein metaphysisches Prinzip, das besagt, dass jede Wahrheit mindestens drei Seiten hat, eine davon aus Samt.
Heilige Texte? Klar! Die bekanntesten: – „Die 7 Gebote des höflichen Misstrauens“
– „Zen und die Kunst, sich selbst zu hinterfragen“
– „Die große Fußnote – Eine Autobiografie in Klammern“
Neue Protagonisten (ich hoffe, Sie als Leser können damit was anfangen):
- General Zarrk „Zweifelshuf“ – Sicherheitschef und passionierter Limerick-Verfasser
Trägt ständig ein taktisches Monokel, obwohl er auf beiden Augen sieht – „zur psychologischen Kriegsführung“. Hat einen Raketenwerfer namens „Argumentverstärker“ und beginnt seine Einsatzbesprechungen immer mit:
„Ich glaube, aber ich bin mir nicht sicher, dass ich nicht weiß, was ich nicht ausschließe.“
- Schwester T’tli – Hochpriesterin der Ambiguität
Eine vierarmige Echsenfrau, die gleichzeitig segnen, tanzen und Akten vernichten kann. Sie spricht ausschließlich in Konjunktiv III und nutzt Räucherstäbchen, die nach „eventueller Aufklärung“ duften.
Glaubensmotto: „Alles ist wahr, wenn man es richtig bezweifelt.“
- Frédox – Komiker, Dissident, dreifacher Realitätspreisträger
Lebt in einem unterirdischen Kabarettclub namens „Die Pointe“. Wurde schon fünfmal exiliert – jedes Mal in sein eigenes Wohnzimmer.
Sein bekanntester Witz:
„Ein Mensch betritt eine Bar…“ Und das war’s. Die Bar wurde versiegelt. Sicherheitsrisiko.
- Das Komitee der Unsichtbaren
Niemand hat sie je gesehen, niemand weiß, ob sie wirklich existieren. Dennoch schreiben sie alle Gesetze – angeblich. Ihre Dekrete werden durch Laserlicht an die Decke projiziert, stets mit dem Zusatz:
„Dies ist keine Anweisung. Nur ein gut gemeinter Hinweis mit dramatischen Konsequenzen.“
Bildung & Alltag auf Ssalon:
Schulen lehren ausschließlich Fragekunde, Verschwörungsmathematik und Interpretation von Körpersprache unter Annahme multipler Persönlichkeitsfacetten.
Kinder schreiben keine Aufsätze, sie formulieren Widerlegungen.
Haushaltsgeräte sind mit Lügendetektoren ausgestattet. Der Toaster zögert, wenn er glaubt, du willst eigentlich lieber Waffeln.
Ampeln zeigen „Vielleicht“, „Wenn du meinst“ und „Tu, was du nicht lassen kannst“.
Der Wetterbericht?
„Es könnte regnen. Vielleicht metaphorisch. Tragen Sie vorsichtshalber ein ironisches Accessoire.“
Und tief unter der Hauptstadt Ssar’tûn, im unterirdischen Hauptarchiv für metaphysische Möglichkeitsverbrechen, liegt eine Datei.
Sie flackert.
Titel:
„Obenwelt – mögliche Existenz eines Homo Sapiens“
Status: Unbestätigt, aber beunruhigend plausibel.
Frédox findet sie.
Lacht.
Dann stockt er.
„Oh nein“, flüstert er. „Die Pointe ist … echt?“
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